momentnotaufnahme

Wo kommen wir denn da hin?

Und es gibt sie doch noch: Menschen, die an der Akademisierung der Pflege zweifeln

Der Tagesspiegel hat in einem Artikel die Akademisierung angegriffen. Der Tenor der Artikels: Deutschland gehen die Lehrlinge aus. Schade nur, dass er ausgerechnet die Pflege als Beispiel zitiert, dass heute jeder Senf einen Studiengang haben soll. Damit wir uns da richtig verstehen: Ich halte nicht-akademisiertes Pflegepersonal nicht für schlechter und akademisiertes nicht für besser. Aber Unterschiede gibt es schon, und auch Bachelor-Absolventen können in ihren Teams einen wertvollen Beitrag leisten, den sonst keiner leisten könnte.

Dieser Artikel ist gleich aus zwei Gründen bemerkenswert: Offensichtlich ist im Kopf vieler Journalisten immer noch das Denken verankert, dass Pflege aus Nettigkeit besteht. Wissenschaftliche Belegbarkeit von Maßnahmen braucht offensichtlich kein Mensch. Statt der in regelmäßigen Abständen auftretenden Forderung, Politiker sollten mal ein Praktikum in der Pflege machen, wäre die Presse vielleicht das bessere Ziel für diesen Vorschlag.

Auch diese Aussage muss man aber gleich wieder einschränken: Das, was gerne als „Pflegenotstand“ verallgemeinert wird, also fehlendes Fachpersonal, Überlastung der Pflegenden im Arbeitsalltag und ein unüberschaubarer Wust an Anforderungen, die nicht patientenorientiert sind, ist derzeit durchaus Thema in den Printmedien. Und das war nicht immer so.

Leider kommt im Fall des Tagesspiegel-Artikels ein zweites Ärgernis hinzu: Aus den Recherchen wurden nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Der Autor nennt derzeit „93 Pflegeberufe mit Bachelorabschluss“ – damit sind wohl pflegebezogene Studiengänge gemeint. Liegt da nicht der Schluss nahe, dass Hochschulen flächendeckend die aktuelle und vor allem zukünftige Bedeutung von wissenschaftlich fundierter, gut organisierter und reflektierter Pflege verstanden und umgesetzt haben?

Leider spricht der Artikel in einem Punkt die Wahrheit an: Was akademisierte Pflegende können, und dass sie sich in ihrer Praxistauglichkeit keinen Deut von klassisch ausgebildetem Fachpersonal unterscheiden, ist in sehr vielen Einrichtungen noch nicht angekommen. Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass man es dann lieber wieder lässt, ist schlichtweg nicht haltbar.

Der jetzige status quo der Akademisierung der Pflege ist nicht etwa 2010 von ein paar Akademikern im Karnevalsvollrausch beschlossen worden, sondern hat sich über 30 Jahre entwickelt. Ich möchte den Sportjournalisten sehen, der 1993 gefordert hätte, die Bundesliga nach 30 Jahren wieder abzuschaffen, weil sie an den Bedürfnissen der Leute vorbei geht.

Über die Tauglichkeit von Studiengängen entscheiden ihre Teilnehmer, nicht fachfremde. Das ist eine Abstimmung mit den Füßen, und wenn sich die Teilnehmerzahlen langfristig nach oben entwickeln, lässt das durchaus den Schluss zu, dass ein Studienangebot sinnvoll ist. Und wem das nicht reicht: Der Zusammenhang zwischen steigendem Qualifikationsniveau der Pflegenden und dem Sinken der Sterberate ist wissenschaftlich hinlänglich belegt. Solche Statistiken richtig zu verstehen, lernt man übrigens an Hochschulen.

Mich würde an dieser Stelle mal brennend interessieren, wie in den übrigen Ländern der Europäischen Union auf die Forderung reagiert würde, aus dem Pflegestudium wieder eine klassische Ausbildung zu machen. In 21 von 28 EU-Ländern gibt es nämlich erst gar keine Alternative zum Bachelor of nursing.

Ein Kommentar zu “Und es gibt sie doch noch: Menschen, die an der Akademisierung der Pflege zweifeln

  1. Es wird beim gegebenen „Schnecken-Tempo“ der Pflegepoltitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz ohnedies noch Jahrzehnte dauern, bis rund 1,5 Millionen berufsaktive Pflegefachpersonen gänzlich „akademisiert“ sind. Wobei eine „Teil-Akademisierung“ von etwa 10 Prozent absolut ausreicht, um „Advance Nursing Practice“ zu etablieren und „Evidence Based Nursing“ an allen Krankenbetten in die „wissende Tat“ umzusetzen. Liebe Grüße vom LAZARUS PflegeNetzWerk aus dem Ösi-Land (y)

Hinterlasse einen Kommentar

Information

Dieser Eintrag wurde am März 27, 2014 von veröffentlicht.